Dienstag, 5. Juni 2007

Johann Peter Hebel: Der geheilte Patient


















Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch mancherlei Lasten und Krankheiten, von denen gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten. Davon kann jener reiche Amsterdamer ein Wort reden, dem sein Vater mehr Geld als Verstand hinterlassen hatte.

Den ganzen Vormittag saß er im Lehnstuhl und rauchte Tabak, wenn er nicht zu träge war, oder schaute zum Fenster hinaus. Dabei aß und trank er aber zu Mittag wie ein Drescher und aß und trank auch den ganzen Nachmittag bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes aus lauter Langeweile bis an den Abend. Also dass man bei ihm nicht recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und das Nachtessen anfing. Alsdann legte er sich ins Bett und war so müde, als wenn er den ganzen Tag Steine geladen oder Holz gespalten hätte.

Davon ward er zuletzt wie ein Sack so dick und ebenso schwer und unbeholfen. Essen und Schlaf wollten ihm nicht mehr schmecken und er war lange Zeit, wie es so geht, nicht recht gesund und nicht recht krank. Hörte man ihn aber selber, so hatte er dreihundertfünfundsechzig Krankheiten, alle Tage nämlich eine andere. So viele Ärzte in Amsterdam sind, so viele hatten ihm raten müssen. Er hatte Tränkchen verschluckt zu ganzen Flaschen und ganze Schachteln voll Pulver und Pillen. Abe das half ihm alles nichts, denn er folgte nicht dem, was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: "Tausend! Wofür bin ich denn ein reicher Mann, wenn ich leben soll wie ein Bettler - und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld."

Endlich hörte er von einem Arzte, der über hundert Stunden weit entfernt wohnte. Der wäre so geschickt, dass die Kranken gesund würden, wenn er sie nur recht sähe - und der Tod ginge ihm aus dem Wege, wo sich der Doktor blicken lasse. Zu diesem fasste der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seine Umstände. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte und sagte: "Wart, dich will ich bald geheilt haben!" und schrieb ihm zur Antwort, "Guter Freund, Ihr habt eine schlimme Krankheit. Doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein böses Tier im Leibe, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muss ich selber reden - und Ihr müsst zu mir kommen. Aber merkt euch! Fürs Erste dürft Ihr weder fahren noch auf dem Rösslein reiten, sondern auf des Schusters Rappen, sonst schüttelt Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüse, mittags etwas Gesottenes und Gebratenes dazu und abends ein Ei und am Morgen ein Bier-, Milch- oder Wassersüpplein. Das ist genug. Denn was Ihr mehr esset, davon wird der Lindwurm größer, also, dass er Euch die Leber erdrückt und der Schneider Euch nichts mehr anzumessen hat, aber der Tischler. Das ist mein Rat - und wenn Ihr mir nicht folgt, so werdet Ihr im andern Frühling den Kuckuck nicht mehr rufen hören. Tut nun, was Ihr wollt."

Als der Kranke so mit sich reden hörte, zog er den andern Morgen in aller Frühe die Stiefel an und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, dass eine Schnecke hätte sein Vorreiter sein können, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel sonst lange nicht so lieblich gesungen hätten. Der Tau schien ihm so frisch, der Mohn im Korne so rot und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so fröhlich und freundlich aus und er auch. Und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ging, war's schöner, und er ging leichter und munterer dahin. Und als er am achtzehnten Tage in der Stadt des Arztes ankam und aufstand am andern Morgen, war ihm so wohl, dass er sagte: "Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll."

Indessen war er einmal da und als er zum Doktor kam, nahm ihn dieser bei der Hand und sagte: "Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt!" Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts - und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte: "Das hat Euch ein guter Geist geraten, dass Ihr folgsam gewesen seid. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden, aber Ihr habt noch Eier im Leibe. Deswegen müsst Ihr wieder zu Fuß Heim gehen und zu Hause fleißig arbeiten. Wo es zu tun gibt, ist's nicht für Euch, so ist's für andere - und dürft nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnet, damit die Eier nicht ausschlüpfen! So könnt Ihr, wenn's Gott will, bei Eurem Gelde ein alter Mann werden." Und er lächelte dazu.

Aber der Reiche sagte: "Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz - und ich verstehe Euch wohl," und hat nachher den Rat befolgt und gelebt über siebenundachtzig Jahre, wie ein Fisch im Wasser so gesund und hat alle Neujahr seine dreißig Dukaten dem Arzte zum Gruß geschickt, so lange er lebte.

Keine Kommentare: