Montag, 16. April 2007

Liebe Leute, lasst mich endlich in Ruhe








Von Ernst Stefan

Ich konnte es schon als Kind nicht leiden, wenn mir jemand ungefragt einen „guten Rat“ gab. Besonders oft musste ich hören: „Ernst, mach mal Spaß“! Nicht etwa, weil ich im zarten Knabenalter ein dicker Trauerkloß war, sondern weil sich dies so lustig anhörte. Dass sich ein Gag auch mal abnutzt, davon ahnten diese Ratgeber wohl nichts.

Meine Lehrer traktierten mich erstaunlich wenig mit „guten Ratschlägen“. Entweder lag es an meinen guten Noten oder daran, dass ich ab einem bestimmten Alter immer das letzte Wort haben wollte. Das war sogar im Schulzeugnis zu lesen: „Ernst wird in letzter Zeit etwas vorlaut“, was mir zuhause eine Tracht Prügel einbrachte.

Im Berufsleben als Zeitungsredakteur häuften sich „gute Ratschläge“ wieder auffällig. Die meisten davon zielten darauf ab, mich zum „willigen Arbeitssklaven ohne eigene Meinung“ umzuerziehen. Wenn mich Vorgesetzte endlich in Ruhe ließen, ereiferten sich Kollegen über mich, die es nicht ertragen konnten, dass jemand mutiger als sie war.

Als Mittfünfziger machte ich mich selbstständig und hätte nun eigentlich in Frieden leben können. Wenn nicht immer wieder jemand eine Geschäftsidee gehabt hätte, die ich – an seiner Stelle – mit meiner Arbeitskraft und mit meinem Geld verwirklichen sollte.

Mit 60 beschloss ich, mich zur Ruhe zu setzen und endlich mein Leben mehr zu genießen. Zu viele Jahre hatte ich täglich bis zu 18 Stunden gearbeitet und in meiner „Freizeit“ dicke und schwere Bücher geschrieben, die mir zwar Geld, Ruhm und Ehre, aber auch Neid und Missgunst bescherten.

Heute bin ich 61 und könnte mich (fast) ganz dem süßen Nichtstun hingeben. Stattdessen verbringe ich (zu) viele Stunden im Internet und schreibe immer noch gerne, viel und schnell. In den unendlichen Weiten des Web entdecke ich zu meinem Erstaunen immer wieder völlig Unbekannte, die mir mehr oder minder dreist unerbetene Ratschläge oder Kommentare widmen.

Liebe Leute, lasst mich endlich in Ruhe!

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